Zeit – Gedanken der anderen Art

3 Monate sind nun also schon vergangen seit ich mich von meiner Familie und meinen Freunden verabschiedet habe und mich wahrscheinlich mit mehr Glück als Verstand in mein Freiwilligenjahr gestürzt habe. Ein viertel meiner Zeit hier liegt also schon hinter mir und so recht will ich das gar nicht glauben. Ich bin doch erst letzte Woche hier in unser kleines Haus eingezogen, habe doch erst vor kurzem meine neue Familie kennen und lieben gelernt und gerade eben erst bin ich das erste mal den Weg zu meiner kleinen Meute in die Escolinha gelaufen. Und jetzt sitze ich  hier und wollte eigentlich von den letzten Wochen berichten und endlich auch mal ein paar Fotos hochladen und mir fällt auf, dass das alles eben nicht erst passiert ist. Das einzige was mir dazu einfällt ist krass. Habe ich vorher noch jeden den ich Zuhause gelassen habe beschwichtigt, wie schnell so ein Jahr doch umgeht, muss ich es jetzt doch tatsächlich selbst live und in Farbe erfahren. Ehrlich gesagt macht es mir Angst. Ich könnte mittlerweile sogar die Tage zählen, habe ich doch erst vergangene Woche mein Rückflugticket erhalten. Am 28.01.2018 werde ich mich wieder auf den Weg nach Hause begeben. Aber ist das wirklich mein Zuhause? Ist mein Zuhause denn nicht hier?

Fragen die mich gerade beschäftigen, Fragen, die sich hier nur wiederfinden, weil sie mir im Kopf rumgehen und ich glaube, dass sie genauso zu einem Blog über meinen Freiwilligendienst gehören, wie Updates über Ausflüge, Alltag, Urlaub und Co.. Ich denke seit einer Weile darüber nach und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich nicht mehr nur ein zuhause habe. Ich habe zwei. Genauso habe ich nicht mehr nur eine kleine Familie, sondern eine riesige, mit einem Teil in Deutschland, dem anderen in Mosambik. Ich bin hier definitiv kein Gast, sondern wie meine Mutter hier des öfteren stolz sagt ihre “filia” (Tochter) und auch eine “mulher mosambicana”, weil sie es so gerne sieht, wenn ich zuhause Capulana trage . Genauso bin ich auch die Tia (Tante) von Rabekinha und Nairon. Und obwohl die Kleine mich  des Öfteren mit ihrem überschwänglichen “tiiiiiia Luiiisaaa” fast verzweifeln lässt, möchte ich es nicht missen und genieße es doch immer wieder freudestrahlend von ihr empfangen zu werden. Ich habe einen Teil meiner nun großen Familie hier gefunden und nun soll schon ein viertel meines Jahres hier um sein. Irgendwie ist es nicht schwer zu verstehen und doch frage ich mich wohin die Zeit nur still und heimlich geflossen ist. Vergehen die Tage hier schneller als gewohnt? Gefühlt müsste ich diese Frage eindeutig mit “Ja” beantworten, aber ich weiß, dass das wohl kaum der Wahrheit entspräche.

Es ist ein Gedanke, der mich schon seit einer Weile beschäftigt, eine Frage für die ich nun glaube eine Antwort gefunden zu haben. Die Zeit fließt in all die Augenblicke, die man nicht mehr vergisst. Sie fließt in den Moment, in dem mir meine Nichte zur Begrüßung in den Arm fällt,  in den, in welchem mich Nairon beim Mensch-ärger-dich-nicht spielen besiegt, die Stunden auf der Arbeit, in denen die Kinder den größtmöglichen Lärm verursachen und scheinbar jeden Tag versuchen ihren Rekord des Vortages zu brechen und man trotzdem jedes von einem hervorgerufene Lachen genießt, in Momente am Strand, in Augenblicke, die man nur mit Freunden verbringt. Die Zeit fließt stetig in Erfahrungen, egal ob in positive oder negative, die wir machen und wir werden durch jede Sekunde, die sie uns schenkt ein kleines Stückchen reicher.  Sie ist allgegenwärtig und trotzdem verdrängen wir sie nur allzu oft. Und jetzt wo mir noch 9 Monate in diesem wundervollen Land bleiben frage ich mich, warum eigentlich? Warum habe ich seit Ewigkeiten Angst davor, dass die Zeit vergeht? Warum versuche ich es zu verdrängen, nicht daran zu denken, dass ich jeden Tag ein wenig älter werde?

Ich glaube, die Tage vergehen hier für mich schneller, weil ich a) viel mehr dieser kleinen Momente erlebe, in die meine Zeit fließt und b) diese zumindest teilweise aktiver wahrnehme und nicht von so vielem Unnötigen abgelenkt werde. Also warum sollte ich Angst haben. Ist es nicht dumm Angst vor etwas zu haben, was einen bereichert? Ist es nicht dumm Angst davor zu haben, meine Zeit gegen zu tauschen, was mir für immer bleibt? Diese Erinnerungen und Momente werde ich hoffentlich nie vergessen. Ich bin glücklich und dankbar dafür, dass die Zeit vergeht und mir jeden Moment in anderer Form zurückgibt. Ich habe genug Zeit verplempert mir darüber Gedanken zu machen, wohin die Zeit fließt, wobei ich mir jetzt sicher bin, dass man keine Zeit verplempern kann, solange man aufmerksam ist und Ausschau nach den kleinen Dingen hält. Schließlich habe ich gerade dies in meiner zuerst  “verplempert” geglaubten Zeit gelernt und kann nun im Nachhinein auf die letzten 3 Monate zurückschauen und sehe, wie ich gewachsen und an Erfahrungen und Erinnerungen reicher geworden bin.

Ich freue mich darauf weitere 9 Monate hier in meinem neuen Familienteil, meinem anderen zuhause verbringen zu dürfen und bin schon gespannt, wohin mich die Zeit führt.

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